Ankommen in Bulgarien

Gorna Oryahovitsa ist unsere Heimat für die nächsten 6 Wochen. Hier verbringen wir die Festtage und lernen viel über das bulgarische Leben.

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5h Zugfahrt bringen uns nach Gorna Oryahovitsa, eine kleinere Stadt im Norden Bulgariens. Es ist eine unauffällige Stadt, es gibt viele vergleichbare in Bulgarien. Graue, eckige Häuser prägen das Stadtbild. Hier werden wir 6 Wochen bleiben und mitarbeiten in einem Projekt.

Wir dürfen in einer kleinen praktischen Wohnung hausen direkt im Obdachlosenzentrum, wo wir jeweils auch gemeinsam mit den Bewohnern das Abendessen einnehmen. Wir fühlen uns wohl in der Gruppe, leider können wir aber nicht viel kommunizieren, da niemand Englisch spricht und unser Bulgarisch auf ein paar Wörter beschränkt ist. Durch das tägliche Abendessen lernen wir auch die bulgarische Alltagsküche kennen, mal mehr, mal weniger ein Genuss für uns, aber auf jeden Fall authentisch. Apropos Kommunikation: das Kopfnicken bedeutet hier nein, Kopfschütteln ja. Dies ist schon etwas irritierend. Noch schwieriger wird es, wenn sich die Bulgaren den Ausländern anpassen wenn man mit ihnen spricht, was die Verwirrung noch grösser macht. Nett gemeint, aber leider nicht immer hilfreich.

Unsere Ansprechpersonen hier ist eine Schweizer Familie, welche seit vielen Jahren hier arbeitet und sich in die Menschen investiert. Unser Alltag ist abwechslungsreich und ziemlich spontan. So kann es schon sein, dass wir mal eine Abendschicht einlegen um "Zöpfli" zu backen. Wir dürfen verschiedene Dinge erledigen, wie Hilfsgüter sortieren (wobei Sara viele Dinge wiedererkennt, da es Spital Kleidung ist), Geschenke verpacken, div. Dinge bauen/reparieren, Film schneiden, Kinder hüten und pflegen usw. Ausserdem erhalten wir Einblicke in viele Projektzweige. Wir besuchen verschiedene Roma Familien, ein Kinderheim und ein Jugendhaus und verteilen Weihnachtsgeschenke. Wir erleben einen Jungscharnachmittag, reisen in diverse Städte in der Region zum Bringen und Holen von Hilfsgütern und besuchen verschiedene Familien wobei wir einen authentischen Einblick ins bulgarische Leben erhalten. So erfahren wir auch viel über das bulgarische Sozialsystem. Wir besuchen mehrmals den Gottesdienst der Kirche gleich beim Zentrum und feiern Weihnachten und Silvester mit den Bewohnern des Zentrums.

Ein besonderes Highlight ist für uns die Arbeit auf dem Lagergelände, wo wir mehrmals hinfahren. Etwa eine halbe Stunde unseres Wohnorts befindet sich ein grosses Stück Land mit mehreren Häusern im kleinen Dorf Kavlak. Dort finden durchs Jahr immer wieder Jungschar Lager statt. Es gibt viel zu tun. Die Häuser müssen renoviert werden, es gibt Dinge zu flicken und die Umgebung zu pflegen. Die Arbeit dort geht nie aus. Es ist ein wunderschöner Ort und wir geniessen es, verschiedene handwerkliche Tätigkeiten zu erledigen und über dem Feuer Ofen zu kochen, wie früher.

Das Obdachlosenzentrum wo wir wohnhaft sind ein Ort, wo Menschen ohne Dach über dem Kopf eine vorübergehende Bleibe finden. In der Zeit wo sie hier verweilen werden div. Abklärungen gemacht bzgl. IV, Pensionskasse usw. und es werden Anschlusslösungen gesucht. Es ist nicht einfach, optimale Lösungen zu finden für diese Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, aber es wird das Beste gegeben.

Nebst den vielen Einblicken in die Arbeit und die Gesellschaft haben wir Zeit, die Gegend zu erkunden. Die Nachbarstadt Veliko Tarnovo ist ein beliebtes Touristenziel. Die Stadt zwischen einer Flussschlaufe auf Hügeln und hat eine ruhmreiche Vergangenheit, es war frühere die Hauptstadt. Wir sind mehrmals zu Gast in der Stadt, denn bereits beim ersten Besuch entdecken wir unseren neuen Lieblingsort in der Region, das Kaffee Samurai. Bester Kaffee und feine Desserts, entspannte Atmosphäre. Ein guter Ort, um das Erlebte zu diskutieren und verarbeiten. Ausserdem stossen wir auf eine kleine Bier Bar wo jeweils Premier League Spiele übertragen werden. Wer Beni kennt weiss, dass dies sein Herz höher schlagen lässt. Auch dort sind wir mehrmals zu Gast und vor allem ein Besuch ist in bleibender Erinnerung. Wir kommen ins Gespräch mit zwei Briten, einem in Rumänien wohnhaften Moldawier und einer Rumänin. Es entstehen lustige und hitzige Diskussionen über Gott und die Welt und teilweise prallen ziemlich unterschiedliche Ideologien aufeinander. Ein unterhaltsamer Abend, wo der Fussball zur absoluten Nebensache wird. Veliko Tarnovo ist aber nicht nur aufgrund der Gastronomie ein Besuch wert. Das Städtchen ist über mehrere Hügel verteilt und im Gegensatz zu vielen anderen Orten im Land dominieren hier nicht nur graue Betonbunker, sondern es hat kleine hübsche Häuschen, eine grosse Burg und interessante Handwerkergeschäfte.

Ein anderes Highlight ist der Ausflug über den Shipka Pass. Wir durften netterweise das Auto der Schweizer Familie ausleihen und konnten so das schöne Wetter, was zu diesem Zeitpunkt eher selten war, ausnutzen. Eigentlich wollten wir das Busludscha Denkmal besuchen, aufgrund des Schnees waren wir aber nicht sicher, ob es klappen würde. Das Denkmal wurde 1981 von der Kommunistischen Partei gebaut und für Tagungen und Kongresse benutzt. Seit dem Ende des Regimes ist es jedoch dem Zerfall geweiht. Tatsächlich landeten wir im tiefsten Winter. Verschneite Bäume säumten die Passstrasse und der Schnee glitzerte in der Sonne, richtig kitschig. Auf der Passhöhe war schnell klar, dass wir nicht bis zum Denkmal fahren können, jedoch stiegen wir auf einen Hügel, wo weitere kleine Denkmäler und wahrscheinlich ein alter Wehrturm oder ähnliches zu finden war. Zu guter Letzt sahen wir das Denkmal dann doch noch, wenn auch nur von weitem. Dies störte uns aber kaum. Wir freuten uns über den Blick, den wir erhaschten und genossen den Tag im tiefen Winter in vollen Zügen.

Die Zeit vergeht und das Jahr 2021 ebenfalls. Zu Beginn des neuen Jahres geht auch unsere Reise weiter. Es waren interessante Wochen, wo wir viele Einblicke in den bulgarischen Alltag erhalten hatten. Jetzt freuen wir uns wieder, neue Orte zu entdecken. Die nächsten Wochen erkunden wir das Land mit einem Auto, respektive einem kleinen Bus, den wir grosszügigerweise ausleihen dürfen. Wohin es uns nachher verschlagen wird, ist noch sehr offen. Es ist zu hoffen, dass sich nicht zu viele Grenzen wieder schliessen.