Ein Kreis schliesst sich

Von Pleiten, Pech und Pannen. Gut, dies ist jetzt vielleicht nur ganz leicht übertrieben, aber man sollte ja etwas Spannung aufbauen bei der Einleitung...

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Ein neuer Morgen und die Stimmung ist getrübt, genau so wie der Himmel auch. Uns ist die Luft ausgegangen, oder zumindest unserem Hinterreifen. Keine grosse Sache, aber trotzdem ärgerlich. Wir stellen bald fest, dass es sich bei diesem Platten eher um eine kleine Geschichte handelt und entscheiden uns zur Weiterfahrt ohne Pneuwechsel. Wir als Autonovizen (wir beide waren noch nie im Besitz eines Autos) fragen uns, ob man wie beim Fahrrad ein kleineres Loch mit einem Patch oder ähnlichem reparieren kann...

Bevor wir uns ernsthaft diesem Problem zuwenden, rollen wir weiter auf unseren vier mehr oder weniger Luft gefüllten Pneus, immer schön mit 80h/km, wir wollen ja den Verbrauch nicht strapazieren und Zeit haben wir allemal. Was nun folgt, fühlt sich an wie die "Goldküste" Chiles. Schöne Villen mit grossen gepflegten Gärten/Pärken mit bester Aussicht schmücken die Küste. Halb Santiago scheint sich am Wochenende an dieser Küste zu vergnügen. Nach Wochen in ruhigen Gefilden und verschlafenen Dörfern ist die belebte Region eine willkommene Abwechslung. Wenn wir jeweils auf irgend einem Parkplatz unseren Kofferraum öffnen und unser Mittagessen kochen, werden wir interessiert beobachtet und freundlich gegrüsst, aber kaum einer traut sich, uns anzusprechen. Wir sind definitiv nicht mehr im Iran. Einerseits angenehm, weil man in Ruhe seine Dinge erledigen kann, aber manchmal wäre etwas mehr Interaktion auch schön.

Als wir am nächsten Morgen einmal mehr im Nebel erwachen, suchen wir eine Lösung, der grauen Decke zu entfliehen. Ein paar eingezeichnete Wege auf der Karte auf einem Hügel wecken unsere Aufmerksamkeit, wir fahren hin. Unsere Erwartung: Ein hübsch gemachter Spazierweg, perfekt präpariert, ca. 1-2km lang, so dass man sich sicher nicht verausgabt mit hübschem Aussichtspunkt am Schluss, idealerweise über der Nebelgrenze. Diese Erwartung basiert auf unseren bisherigen Erfahrungen in diesem Land. Wir hofften jeweils auf eine Wanderung und endeten bei einem Spaziergang. Die Realität: Schon am Eingang steht ein motiviertes Wandergrüppchen, bestens ausgerüstet. Da denken wir noch, sie seien einfach übermotiviert. Doch schon bald merken wir, dass dies hier tatsächlich unserer Vorstellung einer Wanderung sehr nahe kommt. Schmale Naturpfade führen den Berg hoch, so dass wir sogar ins Schwitzen kommen. Es erwartet uns eine schöne Aussicht vom Pazifik bis zu den Anden über dem Nebelmeer, welch Freude. Ein gelungener kleiner Ausflug.

Bevor wir die Route in Richtung Anden einschlagen, wollen wir unser Problemchen am Auto noch lösen. Unser Fall scheint hier kein seltener zu sein. Wir lernen, das wir nach einer "Vulca" suchen müssen, die Vulkanisationen macht zur Reparatur von kleinen Löchern im Pneu. Fachmännisch wird der Defekt repariert (eine Schraube hat sich in den Pneu gebohrt) und ganze Fr. 5.- bezahlen wir für den einwandfreien Service.

Eine erste Grenze steht uns bevor. Da das Visum immer nur 90 Tage gültig ist, müssen wir dies erneuern. Nicht, weil wir schon so lange hier sind, sondern weil wir noch länger bleiben möchten und es später weniger Grenzübertritte hat. Theoretisch eine einfache Sache. Zwischen Chile und Argentinien kann man beliebig häufig hin und her reisen und erhält als Tourist immer wieder ein neues 90 Tage Visum. Die Grenze liegt mitten in den Anden auf ca. 2000MüM und ist einer der wichtigsten und meistbefahrenen Übergänge dieser zwei Länder. So schrauben wir uns gemeinsam mit vielen Lastwagen gemütlich die Serpentinen hoch. Manche Laster schaffen es kaum den Berg hinauf. Oben angekommen sind wir irritiert. Plötzlich haben wir Chile verlassen, ohne eine Grenzkontrolle passiert zu haben. Das funktioniert natürlich nicht, darum drehen wir um und nach 15 minütiger Suche finden wir endlich die Grenzpolizei zur Ausreise. Dort wird uns erklärt, dass eines unserer Dokumente fürs Auto (nur ein vorübergehendes) nicht akzeptiert und die Ausreise somit verweigert wird. Ganz schön frustrierend, aber nicht ganz so schlimm, denn unser neues 90 Tage Visum haben wir trotzdem. Der Stempel der Ausreise wurde bereits gemacht bevor diese Sache auskam, darum mussten wir wieder einreisen. Naja, nicht ganz wie geplant, aber das Ziel ist erreicht.

Gleich unterhalb der Grenze liegt eines der grössten Skigebiete Südamerikas, Portillo. Dort machen wir einen Rast und bestaunen die Natur, aber etwas anderes weckt unsere Aufmerksamkeit. "US Ski Team" steht auf den Dresses der Skifahrer und viele Skis und Material liegt herum. Unsere Neugier ist geweckt, vielleicht entdecken wir ja Michaela Shiffrin. Geduldig beobachten wir das Kommen und Gehen der Athleten, auch das Kanadische Team scheint hier zu trainieren. Leider kennen wir die Namen, aber nicht die Gesichter der Athleten mit Ausnahme der Über-Athletin, welche wir leider nicht zu Gesicht bekommen. Je länger wir vor Ort verweilen, umso mehr spielen wir mit dem Gedanken einen Tag auf der Piste zu verbringen. Einmal im Leben in der südlichen Hemisphäre Skifahren, das wäre schon was. Gesagt getan, wir verbringen eine kalte Nacht in der Höhe, damit wir am nächsten Tag den Skisport frönen können. Und es ist ein Vergnügen. Im Gegensatz zu unserem letzten Skispass in der Türkei ist das Mietmaterial hier deutlich hochwertiger und die guten Konditionen machen Laune. Wir merken aber auch, wie verwöhnt wir sind Zuhause. Obwohl eines der grössten Skigebiete auf dem Kontinent, wäre es in der Schweiz eines der kleineren Sorte. Ausserdem besteht ein wahnsinnig hoher Bedarf an Angestellten. An jedem Lift steht eine Person, die das Ticket kontrolliert und eine Zweite die hilft beim Aufsteigen, die Sessel kommen nämlich wie bei uns früher mit vollem Schuss daher. Zudem darf man uns ab sofort Ski- und Snowboard Experten nennen, den wir haben auch die Pisten für Experten gemeistert. Wer denkt, wir konnten frische Bergluft schnuppern, der täuscht sich gewaltig. Das Skigebiet liegt direkt an der vielbefahrenen Passstrasse, so dass man mit dem Sessellift die Serpentinen kreuzt und von den Lastwagen hupend gegrüsst wird. Klingt nicht sehr idyllisch, aber es hat auch beschaulichere Teile im Gebiet.

Kurz bevor wir zurück in der Hauptstadt sind beschert uns der nächste Morgen eine eindrückliche Überraschung. Über uns kreisen ca. 20 Andenkondore. Die beeindruckenden Vögel mit einer Spannweite bis zu 3 Meter gehören zu den Geiern und sind in den Anden heimisch. Gleich in der Nähe liegt ein Kuhkadaver, über den sich die imposanten Vögel stürzen. Ein echtes Schauspiel und ein beeindruckendes Geräusch, wenn die Flügelschläge einen richtigen Lärm verursachen.

Wir erreichen Santiago an einem geschichtsträchtigen Wochenende. Nach grossen teils gewalttätigen Protesten wurde im Jahr 2019 über die Revision respektive komplette Erneuerung der Verfassung abgestimmt und dies wurde damals deutlich angenommen. Nun wurde diese Verfassung von einem Komitee ausgearbeitet und der Bevölkerung präsentiert. Und nun steht also an diesem Wochenende die Abstimmung an über An- oder Ablehnung der neuen Verfassung. Um es vorneweg zu nehmen, sie wurde abgelehnt. Ein interessanter Prozess, denn wir sicher weiter beobachten werden und über den wir auch schon verschiedene Meinungen gehört haben. Wir übernachten am Stadtrand in einem Zimmer einer WG. Dort werden wir auch gleich zum Grillabend eingeladen und verbringen einen lustigen Abend mit viel Spanisch, leckerem Essen und natürlich Chilenischem Wein. Grillieren ist auch hier fast ein Nationalsport und dementsprechend lecker die Grillade.

Mit der Rückkehr nach Santiago schliesst sich bereits der erste Kreis. Ab jetzt heisst es tatsächlich, ab in Richtung Patagonien. Aber immer schön langsam, denn es dauert noch etwas, bis der Frühling/Sommer kommt.