Zu Gast bei den Jesiden

Von unserem Besuch bei einer uns bis dahin unbekannten Minderheit hier im Irak.

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Eine gute Tagesetappe von Duhok entfernt entdecken wir in den Dörfern plötzlich wieder Männer, die in der Sonne sitzen und Tee trinken. Eigentlich ein gewohnter Anblick, wäre nicht gerade Ramadan. Ein klares Indiz also, dass es sich hier nicht um Muslime handelt. Wir befinden uns nämlich im Gebiet der Jesiden.

Das Jesidentum ist eine monotheistische Religion, deren Wurzeln bis 2000 Jahre vor Christus zurückreichen sollen. Jeside wird man ausschliesslich durch Geburt, denn beide Elternteile müssen der Religionsgemeinschaft angehören. Die brutale Gewalt der IS gegen Jesiden im Nordirak löste 2014 weltweit Entsetzen aus. Hunderttausende flohen damals in die kurdischen Autonomiegebiete - wo viele bis heute in Flüchtlingslagern leben, von welchen wir auf unserem Weg auch ein paar gesehen haben. Viele flohen aber auch ins Ausland, speziell nach Deutschland, wo heute Schätzungen zufolge rund 200'000 Jesiden leben. So überrascht es nicht, dass wir immer wieder auf deutsch angesprochen werden.

Unser Ziel ist Lalisch, ein Tal, in dem sich das zentrale Heiligtum der Jesiden befindet und sie sich treffen um die wichtigen Feste zu feiern. Am Taleingang erwartet uns ein mittlerweilen vertrauter Anblick, ein militärischer Checkpoint. Doch für einmal können wir nicht ohne weiteres passieren, Beni muss zuerst lange Hosen anziehen. Nun angemessen gekleidet, geht es die letzten Meter hoch zum Dorf. Die Strasse ist zugeparkt mit Autos und es wimmelt von Menschen. Wir haben Glück, denn im April findet jeweils das Neujahrsfest der Jesiden statt und auch wenn wir ein paar Tage zu früh sind, sind viele bereits angereist und geniessen das angenehme Wetter und die Gemeinschaft.

Am Dorfeingang müssen wir die Schuhe ausziehen, da es sich um einen heiligen Ort handelt. Wir fallen auf, natürlich wegen unserer Fahrräder, aber auch weil es hier kaum nicht-jesidische Besucher gibt. Im Nu werden wir von einem deutschen Jeside unter die Fittiche genommen, der extra wegen dem Neujahrsfest mit seiner Familie aus Deutschland angereist ist und uns durch die verschiedenen Gebäude führt. Alles wird uns erklärt und bis auf das Allerheiligste, wo nur Jesiden rein dürfen, können wir alle Räume besuchen. Wir erfahren viel über die verschiedenen Bräuche, wobei uns auffällt, dass auch viele Jesiden mit ihnen nicht wirklich vertraut sind. Gerade für jene, die im Ausland leben ist es zum Teil das erste Mal dass sie hier sind.

Nach dem Rundgang werden wir in einen Innenhof geführt, wo wir uns zu den Männern setzen und einen Tee geniessen, bevor das Essen aufgetragen wird. Sie sind sehr interessiert und dank der vielen deutschsprachigen Jesiden können wir für einmal richtige Konversationen führen und auch unsere Fragen stellen. Plötzlich wird Sara  das Telefon mit einem Verwandten aus unserer Heimatstadt Winterthur ans Ohr gehalten, die Welt ist eben doch nicht so gross. Das Essen wird im Stehen eingenommen und schmeckt herrlich. Reis mit Fleisch und Gemüse, so wie meistens hier im Nordirak. Danach geht es wieder mit Çay weiter. Als wir am Ende für das Essen bezahlen wollen, wird das strikte abgelehnt, in Lalisch sei alles kostenlos. Einmal mehr überwältigende Gastfreundschaft. Wir bedanken uns herzlich und ziehen los, um das Dorf nun noch auf eigene Faust zu entdecken.

Überall sitzen Familien, ja ganze Sippen zusammen, um Tee zu trinken und die Gemeinschaft zu feiern. Dieser Zusammenhalt ist es, der für uns besonders heraussticht. Das Miteinander ist herzlich, ohne dass sich die Familien untereinander kennen. Sind sie normalerweise immer eine Minderheit, sind sie hier unter sich und geniessen es sichtlich. Immer wieder werden wir eingeladen uns dazuzusetzen, was wir auch tun. Schnell findet sich jemand, der Englisch oder viel eher noch Deutsch spricht und übersetzt. Wir fühlen uns wohl hier und vergessen dabei fast ein bisschen die Zeit. Als wir uns dann endlich zur Weiterfahrt aufmachen, ist es schon später Nachmittag.

Für uns war es ein Eintauchen in eine völlig fremde Religion, mehr noch aber in die Gemeinschaft, denn die ist es, welche an diesem Ort besonders spürbar war. Und wer weiss, vielleicht treffen wir Zuhause plötzlich auch einmal auf einen Jesiden...