"Welcome to Kurdistan"

Der Lockruf des Unbekannten hat uns erreicht und wir sind gespannt, das Land zu entdecken, welches wir hauptsächlich von negativen Medienberichten kennen. Hallo Irak, hallo autonome Region Kurdistan.

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Die Freude über den Grenzübertritt ist gross, nicht nur unsererseits. Wir werden freudig begrüsst, behupt und "Welcome to Kurdistan" begleitet uns von nun an auf der Strecke. Wir fühlen uns sofort willkommen, obwohl die Fahrstrecke wenig einladend ist. Eine staubige, breite, langweilige, viel befahrene Strasse führt nach Zakho, der ersten grösseren Stadt nach der Grenze und unserem Nachtquartier. Wie schon öfters müssen wir schmunzeln über die glamourösen Hotelnamen. So nobel wie der Name «Noble Hotel» suggeriert, ist es nun auch wieder nicht, aber absolut ausreichend für unsere Bedürfnisse. Ausserdem lernen wir bereits, dass die Preise durchaus verhandelbar sind (ohne grosse Verhandlungskünste). Der Preis kann ohne Probleme halbiert werden, so dass Preis und Leistung übereinstimmen.

Wir verlassen Zakho bereits am nächsten Morgen denn wir wollen zügig weiter nach Duhok zu unserem Warmshower Host Benni. Die Fahrt wird immer wieder unterbrochen von interessierten Autofahrern, die uns anhalten für einen Schwatz und/oder ein Selfie. Nicht selten können wir die Konversationen auf Deutsch führen, da es Kurden auf Heimatbesuch sind, denn schätzungsweise 500.000 bis 1,5 Millionen Menschen kurdischer Abstammung leben in Deutschland. Ein Mann zeigt uns ein Foto von sich mit zwei Radfahrern, welche wir vor einigen Monaten in Griechenland getroffen haben, welch Zufall. Kurz bevor wir bei Benni ankommen, gönnen wir unseren Stahlrössern noch ein Wellnessprogramm in der Autowaschanlage, so dass wir mit frisch polierten Fahrrädern bei Benni vorfahren. Im bereits publizierten Beitrag könnt ihr nachlesen, warum wir bei Benni gleich 4 statt der geplanten 2 Nächte verbringen.

Wir lassen Duhok, Benni und sein super Projekt hinter uns und treten kräftig in die Pedale. Landschaftlich bleibt es mässig spektakulär, doch kulturell umso abwechslungsreicher. Einige Kilometer ausserhalb der Stadt passieren wir ein erstes Mal ein Flüchtlingscamp, in diesem Fall ein jesidisches. Diese werden im Gegensatz zu den syrischen Flüchtlingslagern nicht von internationalen Hilfswerken unterstützt, da sie Binnenflüchtlinge sind. Einmal mehr wird uns bewusst, wie privilegiert wir sind. Etwas später erregt ein anderes Gebäude unsere Aufmerksamkeit, eine Kirche. Alqosh ist eine christliche Siedlung, denn auch die Christen gehören zu einer Minderheit, welche in Kurdistan eine Heimat gefunden hat. Ein Glücksfall für uns, denn dies bedeutet trotz Ramadan offene Restaurants und ein ausgiebiges Mittagessen, bevor wir zum Kloster Rabban Hormizd hochfahren. Dieses ist am Hang gebaut. Wir lassen die Räder bei der Eingangskontrolle stehen und wollen hochlaufen. Falsch gedacht. Aus unerklärlichen Gründen ist dies nicht erlaubt, man muss mit dem Auto hochfahren. So warten wir einige Zeit beim Eingang ohne genau zu wissen wie weiter, bis sich uns ein netter Herr erbarmt und nach oben fährt. Im Kloster angekommen, dürfen wir uns selbständig umschauen. Keinerlei Informationen aber eine schöner Ausblick und unterirdische Gänge waren den Besuch wert. Runterlaufen dürfen wir dann sogar selbständig…

Weiter geht’s wortwörtlich über Stock und Stein bis uns weisse Gebäude mit einer Spitze ins Auge stechen. Daraus lässt sich schliessen, dass wir nun im jesidischem Gebiet angekommen sind. Das Hauptsiedlungsgebiet der Jesiden liegt eigentlich in der Region Sindschar, doch während der Irakkriese im Jahr 2014 sind viele von ihnen nach Kurdistan geflohen. Bereits am nächsten Tag werden wir einiges mehr über diese Kultur lernen, denn wir strampeln den Berg hoch nach Lalish, den heiligsten Ort der Jesiden. Der aufmerksame Blogleser wird nun stutzig, hab ich nicht davon schon was gelesen? Doch genau, auch dazu ist bereits ein kleiner Beitrag online, denn dieser Besuch bleibt uns in bester Erinnerung.

Die nächsten Tage kämpfen wir uns die Berge rauf und runter durch wunderschöne Landschaften auf einer mässig befahrenen Strasse. Der Frühling hat Einzug gehalten, die Blumen blühen und die Bäume grünen. In regelmässigen Abständen passieren wir die Kontrollstellen der Peschmerga, wo jeweils ein kurzer Schwatz und manchmal ein Selfie erwünscht ist. Falls in Regionen Probleme auftreten, wir man an diesen Punkten angehalten und Strassenabschnitte werden gesperrt, was aber bei uns nie der Fall war. Die Peschmerga ist die eigene Militäreinheit der autonomen Region Kurdistan.

Nebst dem Campen werden wir von Andre und seiner Familie zum Übernachten eingeladen wobei wir am nächsten Morgen Zeugen eines kleinen Familiendramas werden. Der geliebte Kanarienvogel, welcher am Abend zuvor noch auf Benis Schultern Platz fand, ist über Nacht verstorben, was zu einigen Tränen bei den Kindern führt. Dankbar für die Gastfreundschaft verabschieden wir uns bei der Familie und düsen flott weiter, es macht richtig Spass.

Doch eines Abends, wir haben das Zelt auf einer Wiese zwischen zwei Dörfern aufgestellt, wird unser friedliches Abendessen abrupt unterbrochen. In ca. 2.5km Entfernung in den Bergen beobachten wir Bombeneinschläge. Über ca. 1-2h fliegen Kampfflugzeuge über uns hinweg und werfen Bomben ab, die wir sehen, hören und auch spüren. Obwohl wir wissen, dass solche Angriffe der Türkei auf die PKK in dieser Region regelmässig vorkommen und wir uns ausserhalb der Gefahrenzone befinden, haben wir ein mulmiges Gefühl. Wir statten den Pförtnern der Firma nebenan einen Besuch ab, Informationen der Locals sind immer am besten. Lachend laden sie uns zum Çay ein und versichern uns, dass es kein Grund zur Sorge sei. Kommt wohl regelmässig vor. Trotzdem sind wir froh, als die Kampfflugzeuge verstummen und es wieder ruhig wird. Diese Erfahrung sorgt für Gesprächsstoff für die nächsten Tage. Wir fühlen uns nach wie vor sicher im Land, aber es hat uns auch die traurige Realität klar vor Augen geführt. Diese Konflikte sind brandaktuell und genauso real wie all die freundlichen Begegnungen, die wir tagtäglich machen.

Je weiter südlich, umso eindrücklicher wird die Region. In der Ferne ragen verschneite Bergspitzen in den Himmel, Flüsse durchqueren Täler, einfache Dörfer säumen den Strassenrand und Blumen sind Farbtupfer in der abwechslungsreichen Landschaft. Das Wetter könnte nicht besser sein, so dass das Fahrradfahren ein grosser Genuss ist. Strassenhunde gibt es kaum noch, dafür vermehrt Strassenkühe wie wir sie nennen. In den Dörfern, in Garagen, überall sind sie zu sehen und fressen den Abfall, sind aber deutlich friedlicher als die Hunde, was uns ganz recht ist. Wir sammeln fleissig Höhenmeter währenddem wir schweisstreibende Schluchten hochfahren. Eine davon ist die Ravanduz Schlucht bei Soran, wo wir einen Tag Pause einlegen.

An dieser Stelle sei die Stromversorgung des Landes erwähnt. Mehrmals täglich fällt der Strom aus und Generatoren, welche überall zu sehen sind, übernehmen die Versorgung. Ob es am schnellen Wachstum oder der nun sehr starken Generatoren Lobby liegt, dass sich daran seit Jahren nicht viel ändert, sei dahingestellt.

Wieder auf den Sätteln verlassen wir die engen Bergtäler und legen zum zweiten Mal auf unserer Reise über 100km am Tag zurück. Die Aussicht auf ein Bad im Dukan See reicht als Motivation und tatsächlich finden wir einen aussichtsreichen Stellplatz direkt am Ufer. Nach einem erfrischenden Bad und leckerem Abendessen verschwinden wir im Zelt, müssen aber zweimal mitten in der Nacht nochmals rauskriechen, weil Leute vorbeikommen und einen Schwatz halten möchten. Irgendwie kann man dann doch nicht böse sein, obwohl man gerne schlafen würde...

Die Kilometer in den Beinen machen sich am nächsten Tag bemerkbar. Als willkommene Abwechslung treffen wir zum ersten Mal im Irak auf andere Reisende. Mitten in der Pampa halten wir einen Schwatz mit einem deutschen Ehepaar, die mit ihrem Offroader unterwegs sind. Es wird zunehmend schwieriger, uns ausreichend mit Essen für mehrere Tage einzudecken und erneut bäumt sich eine Bergkette vor uns auf, die wir überwinden müssen. Nach einigem hin und her entscheiden wir uns fürs Trampen. Kein Problem im Irak. Ohne Übertreibung, gefühlt 90% der Autos sind Pickups und obwohl die Ladeflächen beladen sind, lässt sich immer ein Ort finden für unser Bagage. Die zwei Herren freuen sich über die Gesellschaft, laden alles flott aufs Auto und dann tuckern wir gemütlich den Berg hoch. Während der Fahrt dürfen wir Revas kosten. Dies ist ein Wildgemüse, das in den kurdischen Bergen heimisch ist und schmeckt wie Rhabarber. Übersetzt wird es auch Warzenrhabarber genannt, was wir angesichts des Aussehens sehr treffend finden. So knabbern wir genüsslich an den Stängeln, geniessen die wunderschöne Aussicht und sind angesichts der langen und äusserts Steilen Route heilfroh, im Auto zu sitzen.

Das nächste Etappenziel ist Sulaymaniyah, eine der grössten und modernsten Städte der autonomen Region Kurdistan. Der Weg dorthin führt über eine langweilige Autobahn und da wir auf den Genuss des trampens gekommen sind, nutzen wir erneut diese Möglichkeit für den Abschnitt. In Sulaymaniyah befindet sich das einzige Hostel des Iraks, das Dolphin Hostel. Wir tauchen ein ins Stadtleben, geniessen leckeren Kaffee, feiern Benis Geburtstag, staunen über das lebhafte Marktreiben, besuchen das Museum, wo wir über die Gräueltaten an den Kurden lesen und verschwenden viele nerventötende Stunden, um Geld zu besorgen.

Nach vier Tagen verlassen wir die Stadt und folgen erneut einer mühsamen und verkehrsreichen Strasse in Richtung Grenze. Highlight des Tages ist Toon, ein belgischer Radreisender, dem wir begegnen. Er ist auf der gleichen Route unterwegs und so radeln wir zu dritt weiter. Leider bleibt dies auch das einzige Highlight des Tages. Es folgt ein mühsamer Platten, eine Schlammschlacht und eine Nacht mit Magen-Darm-Problemen für Sara, so dass ihr am nächsten morgen die Energie fehlt, um aufs Rad zu sitzen, insbesondere, da erneut viele Höhenmeter anstehen. So trennen sich unsere Wege bereits wieder und wir nutzen erneut die Hilfsbereitschaft der Iraker. Bereits das erste Auto hält an und nimmt uns mit in die letzte Stadt vor der Grenze. Das Wetter widerspiegelt unsere Stimmung, es schüttet aus Kübeln. Unser Fahrer ist Fischverkäufer und währenddem er seine frischen Fische verkauft, kümmert er sich um unser Wohlbefinden. Wir sind super dankbar, denn auch Benis Gesundheitszustand lässt nun zu wünschen übrig. Schlussendlich stellen wir unser Zelt in den Park neben der Kebabbude und verbringen den Tag mit Schlafen und Auskurieren. Zwischendurch haben wir Besuch von interessierten Teenagern, die eine Probefahrt auf unseren Fahrrädern machen und viele Fragen haben, sonst sind wir einfach nur froh, ein wasserdichtes Zelt zu haben und keinen Schritt weiter zu müssen für heute.

Die nächste Grenze liegt in griffnähe und wir hoffen doch sehr, am nächsten Tag wieder bei Kräften zu sein, um im Iran mit vollem Elan zu starten. Leider kam es etwas anders, aber dazu ein anderes Mal.